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Schweizer Fachzeitschrift
für Publishing und Digitaldruck


«Klar, bitte!», werde ich von Schweiger ein­gewiesen. Auf dem Tisch liegen drei Schlü-sselbunde, vier Handys und ein Brillenetui. Mein iPad ist irgendwie zu protzig für auf den Tisch, zu verletzlich für unter den Tisch und zu wertvoll für die Hutablage. Es bleibt nur der Platz auf dem Tisch, zum Glück bleibt das Teil in der Hülle verborgen. Es entgeht den Blicken nicht. «Meine Tochter hat jetzt auch ein Tablet gepostet», nimmt Schweiger Kontakt auf, «seither ist sie unablässig entweder mit ihrem Handy oder mit dem iPad beschäftigt. Sie wird sprachlich gesehen schleichend verarmen.»

Sprecher entgegnet, ja, diese neuen Teile seien die Gefahr schlechthin, vielmehr als die Klimaerwärmung. Leider seien bei diesen Produktzyklen keine Langzeitstudien möglich, es würden ja jedes Jahr neue Handys auf den Markt kommen …

«Auf jeden Fall ist die Handystrahlung kein Thema mehr», unterbricht die Rufer , der federnde Schwung ihrer Haare unterstreicht ihr Statement, «die Kids telefonieren ja kaum noch, sie simsen, chatten und twittern, machen Föteli, und Clips, die sie dem globalen Publikum vorführen.»

«Die kriegen einmal alle Haltungsschäden, Nackenwirbelverkrümmung ersten Grades!», witzelt Sprecher.

Der analoge Sager, der kein Handy vor sich liegen hat – auch ein Statement – grummelt Richtung Schweiger: «Hast du den Quatsch schon gelesen, den sie von sich geben? Die schreiben ja schlimmer, als die Jugos sprechen. Pronomen kennen die überhaupt nicht mehr, geschweige denn Genitiv und Akkusativ. Grossschreibung kommt nur bei Tippfehlern vor oder wenn das Korrekturprogramm eingreift. Kein Wunder, schneidet unsere Jugend immer schlechter ab bei der PISA-Studie! Meine Tochter interessiert sich nur für Klamotten und schaut sich die Coiffeur-Heftli an, die au-sser Diäten, Styling und Lippgloss kein be­-sseres Thema mehr bringen. Zeitung lesen oder Bücher lesen liegt schon gar nicht mehr drin. Nur noch anschauen, Bildli in der Gratiszeitung, Bildli in den Wyberheftlis, Bildli im Facebook, das muss ein lic. phil. I erst einmal verdauen.» Als erfahrener Korrektor wurde Sager vor drei Jahren beim Schweizer Fernsehen entlassen, die seither die Rechtschreibung dem Hauswart überla­s-sen, der neben der Wetterkarte für die Verschlagwortung der Kerngefässe zu­ständig ist.

«Ich finds echt tragisch, wenn sich die Kids nur noch per Internet austauschen», mäkelt Rufer, «sie lernen nicht mehr, mit Augenkontakt frei und gescheit zu argumentieren, weil sie nichts behalten können. Die haben einfach nichts mehr in der Birne, dafür alles im Internet. Viel zu wissen, ist nicht gefragt, man muss einfach wissen, wie man googeln muss. Echt tragisch.» Schweiger unterstützt Rufer: «Ich sags euch, das Internet wird uns noch zu einer Herde grunzender Säue verwandeln, der einzige Unterschied zu diesen ist, dass unsere Grunzlaute durch Technologie in Sprache, Grammatik und Rechtschreibung umgewandelt wird.»

«Man muss eben mit der Zeit gehen», versuche ich dünn einzuwerfen, «auf meinem iPad kann ich ja noch andere Dinge erledigen als nur twittern.»

Jetzt brüllt Lacher: «Schon? Föteli etwa?»

«Sicher doch, Föteli austauschen ist aber längst passé, soll ich euch mal zeigen, was man mit Apps alles anstellen kann? Da wird jeder Photoshöppler neidisch.»

«Ach, ja?»

Jetzt pelle ich mein iPad aus der Hülle, stelle es im 45°-Winkel auf und starte die App AutoGraffiti. Klicke dort auf Camera, tappe zweimal und schon erscheint ein tolles Graffiti von mir auf einer Backsteinmauer. «Cool, was?»

«Das kann ich im Photoshop auch», lacht Lacher, sich an seine soeben an den publishing days erworbenen Kenntnisse erinnernd, «in 20 Schritten zum einfachen Graffiti.»

«Adobe ist doch satt geworden in den letzten Jahren, was hat sich schon getan? Mehrzeilensetzer? Vergiss es. GREP? Was ist das? Tabellenfunktion? Zum Schreien! HDR? Ohne Bedeutung. Liquid Design? Braucht kein Mensch. Effektfilter? Zum Heulen. Standards? Ein einziges Chaos. Trennprogramm? Hunspell!»

«Wie war das? Hundspell?», blafft Schweiger, «habe ich probiert, dieser Hund buchstabiert noch schlechter als das Promix-oder-wie-das-heisst-Dingsda. Doppel-s wird noch immer nicht getrennt.» Sprecher wendet sich zu Lacher: «Adobe lässt den sprachlichen Sonderfall Schweiz einfach hängen. Immer noch be­­sser als das grosse Scharf-ß einzuführen, wie es die fundametalistische Sprachzelle Teutonien wieder möchte.»

«Trennfehler mit optischem Randausgleich optisch abzufedern, ist doch auch etwas», tröste ich Sager. Sager schweigt.

«Das ist doch reine Camouflage, die sollen sich lieber mal um echte Weiterentwicklungen kümmern», poltert Sprecher.

«Hat denn schon irgendjemand gezählt, wie viele Checkboxen InDesign, Illustrator oder Photoshop zusammen aufweisen, wie viele Entscheidungen getroffen werden müssen, um das Funktionieren überhaupt zu gewährleisten? Weiss einer, was der Transparenzeffekt für Text ‹Direktionale weiche Kante› mit ‹Negativ multiplizieren› bewirkt?», Prüller kommt in Fahrt: «Tiefenkomplexität braucht Oberflächeneinfachheit, so ist es.»

Lacher fragt konkret: «Muss man wirklich mit einer Suite alles abdecken können, vom klassischen Publishing über Webdesign bis hin zum Videoclip? Mir wäre es lieber, einen kleinen Spatz 3.0 in der Cloud zu benützen, mit dem ich First Class unterwegs bin, statt einen A380 mit Economy-Bordservice in die Heimgarage abgestellt zu bekommen.»